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            20 Jahre.
 
             
 
 
            20 Jahre sind eine lange Zeit. In der 
            Welt der Formel 1, aber auch in der Welt allgemein. Vieles verändert 
            sich, die Welt von heute ist eine andere als die des 1. Mai 1994. 
            Und dennoch ist dieser Tag eingebrannt ins Gedächtnis. 
            Unauslöschlich, für immer. Ein schöner, warmer Spätfrühlingstag 
            damals in Imola - und trotzdem ein Tag von eisiger innerer Kälte, 
            einer der auch in der Erinnerung seinen 
            Schrecken nicht verliert. Es  war ja von Anfang an ein einziges 
            Drama gewesen, dieses Imola-Wochenende, mit dem schweren 
            Trainingsunfall von Rubens Barrichello am Freitag, der noch Glück 
            hatte und mit leichten Verletzungen davonkam. Dann der erste Schock 
            am Samstag, der tödliche Unfall von Roland Ratzenberger, dem jungen 
            Österreicher.  
            Einer der am tiefsten Getroffenen: 
            Ayrton Senna – der dreimalige Weltmeister, Überfigur der Formel 1, 
            Botschafter seines Sports – und vor allem eines: ein sehr tief 
            empfindender, sehr emotionaler Mensch. „In persönlichen, 
            menschlichen Dingen war Ayrton sehr mitfühlend, sehr weich, er hatte 
            da nie diese Härte, die vielen anderen Männern zu eigen ist“, sagte 
            Ron Dennis, der sechs Jahre lang bei McLaren sein Teamchef war, 
            2004, zum zehnten Jahrestag, als er erst eigentlich gar nichts 
            zu dem Thema sagen wollte, und dann plötzlich doch eine Stunde 
            redete, Geschichten erzählte über die gemeinsame Zeit, sich selbst 
            in bei ihm ungewohnten Emotionen verlor.. Aber während viele sich 
            damals verkriechen, sucht Senna am 30. April 1994 in Imola die 
            direkte Konfrontation mit der Härte der Realität.  Er fährt zur 
            Unfallstelle hinaus, um sich selbst ein Bild zu machen. Als er an 
            die Box zurückkommt, ist er völlig erschüttert. Kein Gedanke mehr an 
            Weiterfahren, er zieht sich völlig zurück. Seine Gefühle will er mit 
            sich ganz allein ausmachen.  
            Aber am Sonntag steigt er wieder ein 
            – im Auto hat er eine österreichische Flagge, für Roland Ratzenberger. Erinnerungen, fünfzehn Jahre danach:
            An eine ganz kurze Begegnung am Morgen, einen Blick, 
            der nicht nur Trauer, sondern auch eine neue Entschlossenheit 
            auszudrücken scheint, eine, die sich auch im Warm-up fortzusetzen 
            scheint, nicht nur in den Zeiten, sondern auch in kleinen Gesten, 
            vor dem Einsteigen, beim Wegfahren... Dann die Minuten vor dem 
            Start, der Blick ins Leere an der Box, das kurze Lächeln inmitten 
            sonst sichtbar aufgewühlter Gefühle im Auto, wo er, völlig 
            ungewohnt, noch einmal den Helm abnimmt. Ein Lächeln, das einem 
            Freund gilt: Gerhard Berger, der als Ferrari-Pilot bei der 
            Fahrervorstellung den größten Applaus bekommt. Der Start, mit schon 
            wieder einem Unfall, zwischen Lehto und Lamy, fliegenden Teilen, die 
            Zuschauer auf der Haupttribüne verletzen, Safety- Car, dann, nach 
            fünf Runden der Neustart. Und dann, um 14.17 Uhr, kurz nach Beginn 
            der siebten Runde, der Unfall in der berüchtigten Tamburello-Kurve, 
            der Aufprall, die Rote Flagge, die Stille ...  
             
            Das unbewusste, sofortige Wissen 
            um die Wahrheit – und die verzweifelte Hoffnung beim Warten, sich 
            doch zu irren. Schon da Erinnerungen, die zurückwandern, an 
            Gespräche, an spezielle Momente, an persönliche Bekenntnisse in 
            privaten Gesprächen: Über das Wissen, nicht unverwundbar zu sein, 
            seine eigene Angst, Gefühle während früherer, spektakulärer Unfälle, 
            auch die Angst vor dem Sterben, damals, bei jenem Testunfall in 
            Hockenheim, „als ich so hoch in der Luft war wie die Baumwipfel“, 
            und dieses Satz, dass es wohl etwas gebe,  wovor er noch mehr Angst 
            habe als vor dem Sterben, „davor, nach einem Unfall mit einer 
            schweren Behinderung dahinvegetieren zu müssen, nicht mehr richtig 
            leben zu können...“    
            Gedanken, die durch den Kopf 
            schwirrten, damals – und der Versuch heute, vor allem die anderen, 
            die schönen Bilder zu beschwören, die Erinnerungen, der nicht nur 
            durch sein fahrerisches Können, sondern vor allem auch durch seine 
            Persönlichkeit, sein ganz spezielles Charisma faszinierte... Senna, 
            der so anders war als viele andere Spitzensportler, mit seinen 
            manchmal philosophischen Gedanken zu vielen Dingen auf der Welt, 
            nicht nur zur Formel 1, 
            sondern auch zu Religion und Glauben, mit seinen starken Emotionen, 
            die er nie verbarg,  seinem Lächeln, das verzaubern konnte und 
            manchmal auch seinen Tränen...  Die absolute Perfektion in dem, was 
            er tat, „immer, in jeder Sekunde, sein Bestes zu geben,  die Suche 
            nach dem Limit, das Herausschieben von Grenzen“, das war immer sein 
            Ziel, der Aufstieg an die absolute Spitze, die Siege waren die 
            beinahe logische Konsequenz davon. Absolute Geradlinigkeit und ein 
            fanatischer Gerechtigkeitssinn, gepaart mit einer tiefen 
            Sensibilität, das war eine Kombination an Charaktereigenschaften, 
            die es ihm in der Formel 1 nicht leicht machten. Die 
            Dauer-Auseinandersetzungen mit dem Erzrivalen Alain Prost, mit dem 
            damaligen FIA-Präsidenten Jean-Marie Balestre, sie waren eine Folge 
            dieser Mischung aus Verletzlichkeit und Härte. „Schlimmer als eine 
            Niederlage ist es, betrogen zu werden. Eine sportliche Niederlage 
            kann einen sogar besser machen, betrogen zu werden aber ist 
            unakzeptabel“, lautete sein unverrückbarer Standpunkt - und dafür 
            kämpfte er Zeit seines Lebens, wenn es sein musste, auch gegen 
            Windmühlenflügel... 
            Genauso, wie er für seine Heimat, für 
            sein Land, zu kämpfen begonnen hatte. Immer stolz darauf, 
            Brasilianer zu sein, war es schon lange sein Traum gewesen, den 
            Unterprivilegierten dort zu helfen – und er hatte angefangen, sich 
            immer mehr zu engagieren, seine Möglichkeiten, seinen Einfluss zu 
            nutzen, um vor allem Kindern und Jugendlichen aus den ärmsten 
            Gesellschaftsschichten zu helfen. Die Grundzüge der Stiftung die 
            seinen Namen trägt und die heute von seiner Schwester Viviane, einer 
            Kinderpsychologin, geführt wird und inzwischen über 60 fest
            angestellte Mitarbeiter hat, hat er noch selbst 
            gelegt. Heute wurden und werden durch sie inzwischen insgesamt über 
            vier Millionen von ihnen auf die ein oder andere Weise gefördert und 
            unterstützt, arbeitet die Stiftung aber auch im wissenschaftlichen 
            Bereich, in der Ausbildung von Fachkräften, um von Anfang an bessere 
            Grundlagen für die Benachteiligten der Gesellschaft zu schaffen. 
            „Die Reichen können nicht weiter wie auf einer Insel in einem Meer 
            der Armut leben“, kritisierte Senna einmal die Situation in seinem 
            Heimatland.  Kein Wunder, dass ihn die Menschen dort so liebten, ihn 
            heute noch verehren  – und seinen Tod fast wie den eines nahen 
            Verwandten, zumindest eines guten Freundes, empfanden. In Brasilien 
            weiß heute noch fast jeder ganz genau, wo er an dem Tag war, was er 
            gerade tat, an jenem 1. Mai, als er von Sennas Tod erfuhr, der um 
            18.40 im Maggiore-Krankenhaus in Bologna offiziell bestätigt wurde.
             
 
            Der Abend in Imola, die Spuren an 
            der Wand, erste Blumen, Kerzen, letzte Grüße – der Abschied von 
            einem Freund, während langsam die Sonne untergeht. „Als wäre die 
            Sonne vom Himmel gefallen“, wird Gerhard Berger später über diese 
            Tage sagen. Die Spuren dort sind lange verschwunden, die Tamburello 
            ist schon lange  umgebaut, vor der Mauer lagen dann immer zwei 
            Reihen Reifenstapel, seit 2006 ist Imola nicht mehr im 
            Formel-1-Kalender, dass es je zurückkommen wird, ist fraglich, auch 
            nach weiteren umfangreichen Umbauarbeiten. 
 
            Aber die anderen Spuren sind 
            geblieben. Wobei die Spuren, die der Mensch Ayrton Senna hinterließ, 
            oft noch tiefer sind  als die des Rennfahrer Senna in der Formel 1. 
            Bei den Menschen in Brasilien, bei seinen unzähligen Fans weltweit 
            genauso wie bei denen, die ihn näher kannten, mit ihm 
            zusammenarbeiteten, sich bis heute von seinem Beispiel beeinflusst 
            sehen. Eine Wirkung, die geblieben ist –  und die weiter ausstrahlt. 
            Auch auf die ganz Jungen, die damals, 1994 
            erst ein ganz kleines Kind oder 
            vielleicht noch gar nicht geboren waren, die sich heute für die 
            Formel 1 interessieren, dabei auf Senna und seine Geschichte stoßen, 
            und dann hängen bleiben, noch nachträglich  zu Fans werden, mehr 
            wissen und verstehen wollen,  die manchmal über  den Neffen, über 
            Bruno Senna, über den jungen Aufsteiger von heute den überragenden  
            Fahrer und außergewöhnlichen Menschen von gestern entdecken und dann 
            mehr wissen wollen und der Faszination Senna erliegen, die sich dann 
            auch in der neuen Welt des Web 2.0, an die 1994 noch keiner dachte,  
            zusammenfinden, auf You Tube ihre eigenen Tributes kreieren,  in dem 
            Versuch, die eigene Begeisterung für jemanden auszudrücken, den man 
            sich als Idol, als Helden auserkoren hat,  einen aus der 
            Vergangenheit, der trotzdem in die eigene Gegenwart passt und gehört 
            - über die Grenzen der Zeit hinweg.  
 
            Ob fünf, zehn, 15 oder irgendwann 
            einmal 25 oder 30 Jahre – dieses Gefühl, 
            noch etwas von dieser besonderen 
            Ausstrahlung, dieser besonderen  Kraft, zu spüren und daraus auch 
            Inspiration und Motivation für sich selbst zu – es scheint zu 
            bleiben und sich vielleicht sogar zu verstärken. Es geht weit
             über das hinaus, was die 
            meisten Sportler oder sonstigen Stars erreichen. Und es wäre Ayrton 
            Senna wahrscheinlich auch wichtiger als alle Rekorde, seine drei 
            WM-Titel, 41 GP-Siege oder 65 Pole-Positions... 
             © Karin 
            Sturm, Motorsport-Magazin |